Ferdinand I. von Bulgarien
und die Naturwissenschaften

 Von Prof. Dr. Heck, Direktor des Zool. Gartens, Berlin. 


Es war vor langen Jahren an einem Sommer-Sonntagnachmittag,  der ganze Garten, alle Tierhäuser voll Menschen. Da wird mir der Besuch des Herrschers der Bulgaren gemeldet, und ich eile dem hohen Herrn hocherfreut entgegen. Meine Freude war um so größer und innerlicher, als ich schon viel von der lebhaften und fachverständigen Anteilnahme Ferdinands I. an der Tierwelt und Tierkunde gehört hatte; zugleich befiel mich aber eine gewisse Beklommenheit, wie sich wohl die Führung des hohen Besuches in dem Menschengewühl abwickeln würde.   Aber letztere Schwierigkeit wurde ich indes sofort beruhigt.

Der Fürst bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit und leutseligen Rücksichtnahme zwischen den Volksmassen, wollte nicht, daß seinetwegen irgend jemand zurückgedrängt würde, und seine Erscheinung wiederum flößte überall einen so natürlichen Respekt ein, daß freiwillig Platz gemacht wurde, wohin wir kamen.

Und wir kamen überall hin! Denn so viel merkte ich schnell: das war nicht der übliche Sehenswürdigkeitsbesuch, bei dem das Wichtigste ist, daß man vorher erfährt, wie lange die Sache dauern darf; vielmehr mußten jetzt der Berliner Zoo und ich zeigen, was wir haben und können, bis aufs Letzte, wie das sonst nur der gründlichste Fachgenosse verlangt. Wenn aber das Zeigen immer eine Freude ist, wie groß war sie erst in diesem Falle! Ich vergaß darüber, über unausgesetzter, angelegtester Rede und Gegenrede ganz die Zeit, und als der hohe Gast mir schließlich im Nilpferdhause mit huldvollen Worten zum Abschied einen Gegenstand in die Hand drückte, war es schon so dämmerig, daß ich gerade noch eine rote Kapsel erkennen konnte, deren ehrenden Inhalt ich ahnte. Zeitweise war ich schon vorher im Gespräch der Empfangende gewesen, und im Großen Vogelhaus tauschten sich vollends die Rollen. Da, vor den dreifach übereinander getürmten Einzelkäsigen der Hunderte und Aberhunderte verschiedener Arten von Papageien und anderen fremdländischen Vögeln, erfuhr ich jetzt selber, was mir der alte, volkstümliche Vogelkundige und Vogelpfleger Karl Ruß immer gesagt hatte: "Freuen Sie sich, wenn mein hoher Gönner aus Bulgarien einmal zu Ihnen kommt! Dann werden Sie ein gekröntes Haupt kennen lernen, das zugleich ein ganz zünftiger, ausgelernter Ornithologe und an treffsicherer Kennerschaft gar manchmal uns allen über ist!" So war es wirklich. Der hohe Herr kannte und nannte z. B. auf den ersten Blick alle Webervögel, auch in dem sperlingsfarbigen Zwischenkleide, in dem sie für die allermeisten Menschen einer wie der andere aussehen. Ruß hatte mir aber auch erzählt, daß er ein für allemal den Auftrag hatte, alle Seltenheiten und Neuheiten, die in ausländischen Stubenvögeln auf den Vogelmarkt kamen, zu kaufen und, nachdem er sie beobachtet und begutachtet, nach Wien ins Palais Coburg zu schicken, wo Prinz Ferdinand schon als Schüler eine Sammlung lebender Vögel unterhielt und selbst pflegte, die ihresgleichen suchte. Gleiche Hingabe wurde einer ganz bedeutenden Schmetterlingssammlung gewidmet, Pflanzen- und Gesteinkunde ebenfalls durchaus fachmännisch betrieben. Und als natürliche Folge wuchs aus dieser Naturforscherneigung und -begabung eine Reise nach Brasilien hervor, die Prinz Ferdinand mit seinem Bruder August im Jahre 1879 machte und die reiche Früchte für die Sammlungen brachte.

Schon 1874 wurde Prinz Ferdinand Mitglied der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft und zwar ganz zünftiges ordentliches Mitglied, wie jeder wirkliche Jünger der wissenschaftlichen Ornithologie. Als solcher fühlt sich der hohe Herr mit Stolz; das hat er noch ganz ausdrücklich bei der letzten Audienz ausgesprochen, die er als Gast unseres Kaisers dem Vorsitzenden und Schriftführer der Gesellschaft, unseren bekannten Berliner Ornithologen Schalow und Neichenow gewährte. Diese Audienz wurde sofort zur wissenschaftlichen Debatte lebhaftester und eingehendster Art und dauerte zwei Stunden, obwohl im Vorzimmer die Besucher sich drängten; im Verlauf der Unterhaltung holte Zar Ferdinand auch den Bericht des letzten Internationalen Ornithologenkongresses herbei; er hatte ihn als Reiselektüre mitgeführt. Eine neue besonders schöne und merkwürdige Wildtaubenart, die der neuerdings viel genannte Sammelreisende Grauer vom Albert-Eduard-See mitgebracht hatte, war dem gekrönten Fachmann schon nichts Neues mehr; er hatte die erste Gelegenheit benutzt, um sie sich nebst anderer Ausbeute Grauers im Wiener Hofmuseum anzusehen.